Drohnen
Die neuen Waffen und das Kriegs- und Völkerrecht.
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VIII.
Tatsächlich ist die Deregulierung fast in keinem anderen internationalen Rechts –
und Normenbereich so beunruhigend fortgeschritten, wie in dem des Kriegs –
und Völkerrechts. Tatsächlich besteht heute die Gefahr, daß die westlichen
Demokratien einer solchen Erosion und dem Unterlaufen bestehender
internationaler Regelsysteme selbst erheblich Vorschub geleistet haben. Sie
sind bei genauerer Analyse nicht nur Opfer, sondern auch Mittäter und
Mitläufer dieser Entwicklung.
Wie ist es dazu gekommen??
Entscheidend hat dazu die Reaktion auf die Terrorangriffe des 11.September
2001 innerhalb des westlichen Verteidigungsbündnisses beigetragen.
Ohne jeden Zweifel und auch mit beunruhigenden Gründen war der
11.September 2001 mit seinem realen Angriff auf ein Symbol der dominierenden
Weltmacht und den 3000 Todesopfern ein Schock, ein Trauma, eine elementare
Verunsicherung der westlichen Führungsmacht und des ganzen westlichen
Wertesystems. Damals hielt die ganze Welt den Atem an und wußte instinktiv:
Alles hat sich geändert, alles kann jetzt passieren.
Aber war es auch ein hinreichender Grund, in Reaktion darauf sich als „im Krieg
befindlich“ zu definieren und wesentliche Errungenschaften des Kriegs – und
Völkerrechts für nicht mehr zeitgemäß zu erklären?
Wenigstens aus heutiger Sicht und bei realpolitisch nüchterner Einschätzung läßt
sich rückblickend feststellen: In ihrem Kernbestand und in ihrer dominierenden
Stellung war weder die einzig verbliebene Supermacht der westlichen
Hemisphäre, noch das westliche Verteidigungsbündnis zu irgendeinem Zeitpunkt
des Jahres 2001 real bedroht. Noch dazu, wenn man bedenkt, daß beide nach
dem Zerfall der Sowjetunion weltweit als Gewinner des Kalten Krieges galten
und keinerlei militärische Gegenmacht mit Weltbedeutung mehr ernsthaft
fürchten mußten.
Vielleicht waren die USA überhaupt nie stärker und umfassender weltweit
akzeptiert als durch die doppelte Besonderheit dieser Jahre: Sie hatten den
kalten Krieg der Systemauseinandersetzung gewaltfrei gewonnen – und sie
waren ohnmächtige Opfer einer Attacke, die die ganze Welt verabscheute. Wenn
es auch sehr bitter ist, die Wirkung solcher unschuldigen Opfer ist ungeheuer.
Damals gab es kein Land der Erde, in dem nicht Mitgefühl, Mittrauer und
Sympathie mit den USA die öffentliche Meinung in aller Welt dominierte. Selbst
im Iran gingen damals Menschen mit Kerzen in den Händen auf die Straße und
bekundeten ihre Trauer.
Die klügste Frage in unmittelbarer Nähe zu den erschütternden Ereignissen jener
Tage war die von Bill Clinton: Warum hassen diese Menschen uns eigentlich?
Wäre man ihr nachgegangen, man hätte manche Antwort bekommen, die einen
fruchtbaren Dialog hätte eröffnen können, der das Land bestimmt nicht
geschwächt und auch nicht dümmer gemacht hätte. Vielleicht wäre man dabei
auf jenen tragischen „mimetischen Konflikt“ gestoßen, von dem Girard spricht.
Aber George W. Bush und seine Regierung erklärten – im Bewußtsein, die
stärkste Macht der Welt müsse jetzt Potenz und Dominanz beweisen – den>
Krieg gegen den Terrorismus< wie sie einmal den >Krieg gegen die Drogen<
und alles Böse in der Welt erklärt und auch nie gewonnen hatten . Sie
interpretierten diesen >Krieg gegen den Terror< umgehend als
Verteidigungsmaßnahme gegen einen vermeintlichen Angriffskrieg. Und der
NATO-Rat hatte nichts Eiligeres zu tun, als hinterherzuspringen und den
Bündnisfall für diesen halblegalen „Kriegsfall“ auszurufen. Was aber vonnöten
gewesen wäre, wäre nicht billiges Mitläufertum, sondern hilfreiche, nüchterne
Gefahrenanalyse für den traumatisierten Bündnispartner.
Muß man noch erwähnen, daß diese Proklamation eines „Verteidigungskrieges
des gesamten westlichen Bündnisses“ die größten Allmachtsphantasien eines
Osama bin Laden und seiner militanten Kombattanten tief befriedigte? Die
Führungsmacht der westlichen Welt erklärte sich tatsächlich so elementar
bedroht von dem >dschihad< dieser hochstaplerischen Desperados, daß sie
diese Kriegserklärung annahm und dadurch adelte. Osama bin Laden wurde als
Kriegsgegner akzeptiert. Was konnte einem sektiererischen
Selbstmordattentäter an höheren Weihen verliehen werden?
Seit dieser Zeit befinden wir uns faktisch in einem Kriegszustand, den keiner so
richtig beenden kann, jedenfalls nicht formal und nicht rechtlich. Das genau ist
die normative Grauzone, in der die Drohnen schwirren.
IX.
Auf einer Ebene, auf der Ebene der spontan einleuchtenden Bilder, läßt sich
sogar begreifen, warum die Drohnen eine symbolische und eine direkte Antwort
auf die schändliche Attacke des 11.September zu sein schienen. So wie die
Islamisten – aus dem Hinterhalt – das symbolische und reale Machtzentrum der
westlichen Welt (Worldtrade-Center und Pentagon) auswählten und attackierten,
um zu dokumentieren: Wir kriegen Euch im Zentrum Eurer Macht, wir können
Euch enthaupten! – so proklamiert die Drohne: Wir kriegen euch alle – ebenfalls
aus dem Hinterhalt – wo immer Ihr Euch verkriecht ! Uns entgeht keiner !.
Ob das allerdings unter dem realpolitischen Aspekt von Macht und
Machterhaltung und vor allem unter dem der Gewalteindämmung und der
Friedensgewinnung eine kluge Strategie ist, läßt sich bezweifeln.
Denn jede Waffe muß sich – wenn schon nicht an grundsätzlichen ethischen
Maßstäben – so doch an der realpolitischen Frage messen lassen, ob sie ihr Ziel
auch erreicht. Und damit ist nicht gemeint, ob sie das angepeilte Zielobjekt
präzise trifft, sondern es geht um die Frage, ob sie in der Lage ist, durch ihren
Einsatz den Krieg zu entscheiden oder womöglich zu beenden.
Das jedenfalls war in den alten Zeiten der Blockkonfrontation die realpolitische
Begründung der Befürworter des Wettrüstens. Sie nahmen für sich wenigstens in
Reden in Anspruch, durch den Aufbau gleichgewichtiger oder überlegener
Waffenarsenale in Ost und West den Krieg für die andere Seite so aussichtslos
zu machen, dass es irrsinnig wäre, ihn überhaupt zu beginnen. So hieß die Logik
der Pax Atomica: Durch Nachrüstung verhindern wir den Krieg und sichern
damit – wenn auch auf riskante Weise – den Frieden.
Von wirksamer Abschreckung oder gar von Kriegsvermeidung kann aber bei
der Drohne überhaupt keine Rede mehr sein, wie schon oben dargestellt. Das
Gegenteil ist richtig: Die Drohne verewigt das Kriegsgeschehen und bringt es
gänzlich in die Zivilgesellschaft zurück. Sie agiert in einem rechtsfreien Raum,
der sich der demokratischen Kontrolle entzieht. Sie trägt Züge von Willkür,
Hinterhältigkeit, Rachegelüsten und Lynchjustiz, alles menschliche
Leidenschaften, die zu zähmen sich Jahrhunderte menschlicher Zivilisation
bemüht hatten. Sie untergräbt das rechtsstaatliche Normenverständnis und
verstößt nur dann nicht gegen das Kriegsvölkerrecht, wenn man eine
Bündnisverpflichtungserklärung der NATO nach dem 11.September 2001 bis
heute als zureichende Kriegserklärung interpretiert, wo der unbegrenzte
Waffeneinsatz legitimiert ist. Dann allerdings stellt sich die verzweifelte Frage,
wer kann diesen „Krieg“ dann überhaupt noch beenden?
Obwohl die alten Nationen, die einmal Kriege gegeneinander führten, sich im
globalen Weltendorf auflösen und damit den alten konventionellen
Nationenkrieg und seine Regeln obsulet werden lassen, so sagen die
Befürworter der Drohnen, gibt es doch immer noch die Notwendigkeit, eine
unbestrittene zentrale Ordnungsmacht mit Überlegenheit zu etablieren, deren
Dominanz und Ordnungsfunktion anerkannt wird – und sei es durch
waffentechnische uneinholbare und omnipräsente Überlegenheit. Andernfalls
droht Chaos und Anarchie – und die Etablierung einer neuen Weltordnung ist
gänzlich unmöglich.
Dem ist entgegenzuhalten, daß diese Dominanz, wenn sie nicht durch
normative, rechtliche und systemische Überlegenheit etabliert wird, eine
Materialschlacht ohne Beispiel benötigen würde, gegen die die
Materialschlachten von Verdun ein leichtes Vorgeplänkel wären. Oder will man
gegen die potentiellen Krieger des weltweiten Terrorismus-Netzwerks genau so
viele Drohnen losschicken, wie in den westlichen Waffenschmieden produziert
werden können? Das könnte alle überfordern.
Da die Befürworter der Drohnen dies alles ja wissen, fragt man sich beunruhigt:
Vielleicht setzen sie ja mit all ihren milliardenschweren Anstrengungen auf eine
andere, eher psychologische Art der Kriegsführung. Vielleicht wollen sie einfach
die vermeintliche gegnerische Kommandozentrale ermatten, durch technische
und logistische Überlegenheit entmutigen, ihrer vermuteten Führer berauben
und deswegen desorientieren.
Wer auf psychologische Kriegsführung setzt, sollte die Psyche des vermuteten
Gegners wenigstens kennen. Ein ideologisch überzeugter Selbstmordattentäter
hängt nicht unbedingt an seinem eigenen Überleben, er hat den Tod meist schon
so sehr hinter sich, daß er ihn nicht fürchtet, sondern geradezu als Eingang in
den ewigen Ruhm eines Märtyrers herbeisehnt. (Das meinte Susan Sonntag mit
dem Satz: „Feiglinge sind sie nicht.“)
Die theoretische Möglichkeit, mittels gezielter Tötung durch Drohnen ganze
Eliten eines so deklarierten „Terror- oder Schurkenstaates“ oder der „Achse des
Bösen“ zu eliminieren, scheint auf Dauer auch nicht erfolgversprechend
(Beispiel: Palästina). Für einen getöteten Anführer, den man kennt, ja mit dem
man in Zweifel eines Tages verhandeln könnte, erstehen in der Regel zwei neue
unbekannte, die sich berufen fühlen, den Märtyrer zu rächen oder seinen Platz
einzunehmen.
Vor allem aber: Kann man so den Frieden gewinnen ?
Und wirbt man so für die grundsätzliche Überlegenheit westlicher Normen,
Werte, Rechtsstaatssysteme und internationaler Friedensordnungen?
Nein, Krieg bleibt Krieg und kreiert seine eigene Gesetzmäßigkeiten und
Monster.
Auch der Menschenrechts – Bellizismus bleibt Bellizismus und manchmal ist er
auch nur die Camouflage einer Kriegspropaganda, die man zu entziffern lernen
muß.
Fangen wir an, genauer nachzufragen und präziser zu denken! Es sind nicht die
Drohnen an sich, es ist die Strategie und das politische Denken dahinter, die
falsch sind. Die Drohnen waren nur der waffentechnische Irrweg, über den sich
leichter in eine Verewigung, Individualisierung und Deregulierung des Krieges
schlittern ließ..
Es ist an der Zeit ein neues Kapitel der Genfer Konvention zu vereinbaren.
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© 2013 Dr. Antje
Vollmer